Haben Sie mal mit jemandem zusammengelebt, der sich als Gourmet versteht? Und sind Sie da noch zu regelmäßigen Mahlzeiten gekommen?
Mein Französisch ist in letzter Zeit etwas porös, aber "Gourmet" muss etwas heißen wie "Nichtesser", so eine angeblich unübersetzbare Entsprechung eben. Drei Tage in einem Haushalt mit einem Gourmet, und je nachdem, wer stärker ist, wird einer den anderen zwangsernähren.
Gourmetsein scheint ziemlich hip; man munkelt von Kochsendungen im Fernsehen, wo von gelernten, ja berühmten Köchen gezeigt wird, wie man isst. Und schlecht ernährt sind alle Leute, heißt es.
Und rambazamba macht der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) eine Seite namens Lebensmittelknappheit auf. Sollen sie ruhig: Wenn das irgendwas nützt, ist es morgen verboten.
Hach, Moment, "Lebensmittelklarheit" heißt das. Tatsache ist: Zuerst hab ich mich tatsächlich auf "-knappheit" verlesen, und zweite Tatsache ist: Das kommt aufs gleiche raus. Unter Lebensmittelklarheit litt allenfalls meine Oma, aber da war Krieg und schmerzhaft klar, dass die Kartoffeln, die sie der kargen Krume entrang, aus Kartoffeln bestehen.
Im Ernst: Beim derzeit gültigen Preis für Erdbeerjogurt ist nicht die Frage, ob die Erdbeeren darin auf Schimmelpilzen oder Frisörabfällen basieren, sondern ob man davon sofort krank wird oder erst in einem Zeitraum, der auch für Zigaretten gilt.
Der Marketing-Tipp von Ihrem Lieblingstexter: Analogkäse muss endlich veganer Käse heißen. Dann regt sich kein Loha und nicht mal mehr ein Gourmet mehr darüber auf, sondern zahlt begeistert den dreifachen Kilopreis für das, was bei der Rewe-Kette als Bio-Tiefkühlpizza durchgeht, wetten?
Liebe Freunde, gerade habe ich http://j.mp/kuVmov gestartet. Gelobt sei Jesus Christus! Mein Gebet und mein Segen begleiten euch, B. XVI
Vatikan Nachrichten; ea sunt: Vatikan-TV, Osservatore Romano, Päpstlicher Medienrat, Radio Vatikan, Pressesaal, Vatican.va, V.I.S., vulgo Benedictus PP. XVI per fluminem twitterorum, 28. Juni 2011.
Kaum 2000 Jahre jung und immer auf Augenhöhe mit dem Zeitgeist: DerStellvertreter Gottes auf Erden benutzt die Stiftung seines treuen Dieners Konrad Adenauer als Agentur für Crowdsourcing. Und unsereins ist berufen, am 26. August vielleicht sogar auserwählt, so Gott will,Ghostwriter für den Papst zu werden.
Die Stelle dauert nicht in Ewigkeit, amen, sondern ist befristet bis 26. August 2011. Wir zitieren aus der Ausschreibung:
Ghostwriter gesucht! Ein Wettbewerb zum Besuch von Papst Benedikt XVI in Deutschland
Wettbewerb bis zum 26. August 2011
Was könnte Papst Benedikt XVI im Deutschen Bundestag im September 2011 sagen? Versuchen Sie sich an einem Redeentwurf und beteiligen Sie sich an unserem Wettbewerb!
Vom 22. bis 25. September 2011 besucht Papst Benedikt XVI. Deutschland. Der erste offizielle Staatsbesuch seiner Heimat steht unter dem Motto „Wo Gott ist, da ist Zukunft“.
Im Rahmen seiner Deutschlandreise wird der Papst auch eine Rede im Deutschen Bundestag halten. Seit Wochen wird heftig über die Inhalte dieser Rede spekuliert. Wir möchten Ihnen die Gelegenheit bieten, sich selbst an einem Redevorschlag für Papst Benedikt XVI zu versuchen. Beteiligen Sie sich an unserem Ghostwriter-Wettbewerb!
Der Gewinnertext wird auf der Webseite der KAS veröffentlicht. Zudem erhält der Gewinner eine der wenigen Karten für die Teilnahme an der Papstrede im Deutschen Bundestag.
Teilnahmebedingungen
Gewertet werden nur Beiträge in Theologie, Form und Inhalt Papst Benedikt XVI entsprechen. Einen Anhalt für die Form kann die Rede des Papstes in Westminster Hall vom 17.09.2010 bieten; Max. Länge: 4-5 DinA4 Seiten, Schriftgröße 12, 1.5 Zeilenabstand;
Die Rede muss auf in deutscher Sprache eingereicht werden. [Sic.] [...]
Jury
Die Auswahl wird von einer Jury bestehend aus den Mitarbeitern des KAS Auslandsbüros in Rom, Professoren der katholischen Theologie, Journalisten (Radio Vatikan & Osservatore Romano) sowie geistlichen Würdenträgern. Die Auswahl ist nicht anfechtbar.
Wir freuen uns sehr auf Ihren Beitrag! Katja Christina Plate, Leiterin Auslandsbüro Rom der Konrad-Adenauer-Stiftung
Wie ich das verstehe, ist die Qualifikation: katholisch und deutsch. Und ich müsste meine Mutter fragen (solange sie sich noch an irgendwas erinnert), aber ich erinnere mich verschwommen an eine Ausbildung von vier oder sechs Semestern im katholischen Kindergarten (an mein Deutsch-Studium wollte Mutter sich noch nie erinnern). Bei der Bezahlung sollte das reichen: Die Naturalien, die als Bezahlung dienen, sind nicht im Verkauf, also ein Wert von genau null Euro.
Der ideelle Wert liegt wohl darin, dass „die Kreativen“ das ja nachher für ihr Portfolio verwenden dürfen und deshalb hallelujamäßig dankbar sein müssen. Selber veröffentlichen sie's ja auch. Nutzungsrechte errechnen sich nämlich prozentual, und wie viele Prozent von null ergeben null? Na?
Derlei Briefings ist man als harter Texterknochen auch langsam gewohnt: Schreiben Sie einfach sowas wie letztes Jahr in Westminster Hall und reden wir nicht über den Preis.
Wo Gott ist, da ist Zukunft, genau darum geht's ja, und wo Sein Stellvertreter in seinem Ratzefummel umherwandelt, da hat er keine Zeit, schon vorher zu wissen, was er den Preußen erzählen soll. Der Mann hat Professortitel, oder...? Dann passt das schon: So als Papst ist der Papst ja kein umstrittener Religionsführer wie alle anderen, weil man ihm ja nicht seine Seele verkauft, sondern den Not leidenden öffentlichen Dienst unterstützt.
Karten, um die man sich bewerben muss, gibt's erst wieder für die anschließende Eucharistiefeier, 18.30 Uhr im Olympiastadion. Auch durch dieses Nadelöhr kommt man um Gotteslohn rein. (Ja verreck, in Berlin haben sie jetzt wohl auch schon ein Olympiastadion?)
Man vergisst es so leicht, aber wir wohnen und wirken ja mitten in München. Man vergisst es leicht, weil wir ja nie rauskommen vor lauter Wohnen und Wirken.
Dabei hat München, was Discos und Konzerte angeht, angeblich kulturell so viel zu bieten. Und wir sagen einerseits zu Clubs immer noch "Discos", andererseits wissen wir noch, dass Städte zu meiden sind, die angeblich "kulturell viel zu bieten" haben.
Wahrscheinlich deshalb kommen wir zu nix, weder kulturell noch statusmäßig. Unsere Kontakte mit der Prominenz sind ausschließlich einem seltenen Zufall unterworfen. Einmal hab ich aus Versehen Marianne Sägebrecht gegrüßt, die sieht nämlich so glaubhaft aus wie meine Schwägerin. Sie hantierte in einer Wohnstraße in Altschwabing in einem Kofferraum, schaute auf, zweifelte mich kurz an und grüßte zurück, ich hätte ja der Bruder von Percy Adlon sein können oder so.
Ein anderes Mal stand ich in der Einlassschlange vor einer Disco. Nein, es war kein Club, es war eine Disco. Genau hinter einem Jeanstypen mit einer Sonnenbrille und zwei mit Anzügen maskierten Gorillas als Entourage. Den wollten sie nicht reinlassen.
Beides, so viel weiß ich über München, sind typische Münchner Verhaltensweisen: nachts Sonnenbrillen aufhaben und an besonders "harten" Discotüren nach einer Dreiviertelstunde Anstehen abgewiesen werden. Nur dass der eine Anzuggorilla mich weit drohender anzweifelte als damals die freundliche Frau Sägebrecht.
"Was glaubst du, wer das ist?" fragte der andere Anzug- den Türgorilla, weil er gerade ein bisschen Luft für soziale Kontakte übrig hatte, "das ist der Schlagzeuger von Elton John, du Spack."
"Jaja, scho recht", winkte der Türgorilla ab und deutete hinter sich, "do drin is jeder Zwoate da Schlogzeiger vom Elton John."
Ich kam übrigens rein, weil meine Jeans neu waren, weswegen ich ja überhaupt erst rausgekommen war. Und was hab ich gemacht aus einer halben Disco voller Schlagzeuger? Das gleiche wie mit Marianne Sägebrecht: freundlich gegrüßt und gegangen. Das Weißbier kostete die Unverschämtheit von drei Mark achtzig, die sich damals nur eine Münchner Disco leisten durfte, der DJ hielt Bon Jovi für eine angemessene Beschallung urbaner Verhaltensweisen.
In München werden ja Konzerte von Elton John und Bon Jovi für Kulturereignisse gehalten. Die praktizieren immer noch ungehindert, die beiden angeführten gerade letzte Woche in der Olympiahalle. Was darüber medial zu erfahren war: Der Baron zu Guttenberg war bei Bon Jovi anwesend. Und "München diskutiert" (Müncher Zeitungsslang für "Uns ist keine andere Schlagzeile eingefallen als"), ob das in Ordnung war, dass der Herr Baron (der Adelstitel müsste echt sein) nach dem Kulturereignis in einer Limousine mit Blaulicht abgeholt wurde. Wenn's nach mir geht, hätten sie das schon vor Jahren machen können.
Dass München kulturell durchaus mehr zu bieten hat (s.o.) als musikverachtenden Zusammenrottungen ein Forum, verliert sich etwas unter solchen Ärgernissen: Am 6. Juli spielen die Pogues im Zenith. Übrigens nach Jahrzehnten wieder mit Shane MacGowan, den sie seinerzeit wohl allzuoft schon mit Blaulicht anliefern mussten. Und ich kann an dem Tag nicht. Ein Trost: Cait O’Riordan entzieht sich der Kapelle immer noch.
Auch das ist München: Irgendwos is oiwei. Trotzdem gut, drüber geredet zu haben: Nie kommen wir raus, aber wenigstens weiß ich jetzt wieder, wozu das gut ist.
"Karl-Theodor zu Guttenberg ist und bleibt für mich ein Mann mit Doktor Tietel egal ob geklaut oder fehler ich hab nix gesehen er verdient ihn eh schon durch seine super Arbeit die er macht !"1
Ob man dazu Mariä Lichtmess, Darstellung des Herrn, Purificatio Mariae, Imbolg, Samhain oder Groundhog Day sagt, läuft aufs gleiche hinaus: Der letzte Tag der liturgischen Weihnachtszeit ist der erste offizielle Frühlingsbote. Mit einfachen Mitteln wie einem Blick aus dem Fenster kann ab sofort Christ und Heid' feststellen, dass die Tage sichtbar länger als die Nächte geworden sind. Nun muss sich alles, alles wenden.
Zum Beispiel die zwei Mädchen, die zehn Schritt vor mir den Bürgersteig nutzen. Zusammen sind sie ungefähr so alt wie ich alleine, dafür zwanzigmal schöner. Sie halten Händchen und begehen den Frühling. Unter ihren leichten Übergangsparkas weisen kniekurze Hängekleidchen unübersehbar auf ihr Schuhwerk: Beide Mädchen tragen Flip-Flops. Anfang Februar.
Flip. Flop. Flip. Flop. Flip. Flop. Flip. Flop, macht es, jeweils zweistimmig, kurz versetzt. Es ist ein Ritual, die machen das bestimmt jedes Jahr, vielleicht für Mariä Lichtmess, Imbolg, Samhain oder Groundhog Day. Vorne zeigt die Fußgängerampel Rot: Flip. Flop. Flip. Flop. Flip.
Ich schließe auf: Beide haben sich die Zehennägel frisch lackiert, abwechselnd zweifarbig, mädchenrosa und ein frisches Frühlingsblau, die linke große Zehe rosa, die rechte blau, danach absteigend. Dahinter ziehen sich vier Paar dunkelgrüne Flip-Flop-Riemchen wie Rallyestreifen über die vier winterblassen Jungmädchenfüße. Wenn sie nebeneinanderstehen, ergibt das eine Farbenreihe, die tatsächlich nach sprießenden Frühlingsblumen aussieht auf dem Pflastergrau, von dem die Schneematschreste endlich weichen sollen. Sie zeigen ihre aufgemöbelten Zehen stolz der Welt vor. Es hat etwas Siegessicheres.
Meine erste Freundin, fällt mir ein, hatte winzige, rundliche Füßchen. Damit bohrte sie beim Spielen im Sandkasten herum, bis sie wie paniert aussahen.
Drei Jahrzehnte später tat ich auf dem Grundschulklassentreffen so, als ob ich sie nicht erkannte. Nach Mitternacht fand sie heraus, wer ich war, und konnte mir fast ausreden, dass meine Eltern nur aus der Stadt gezogen waren, weil sie mich dauernd mit dem Bagger verdroschen hatte. Sie raubte mir einen Kuss. Er schmeckte nach dem Tod, der in der Bittermandel lauert. Ich hatte noch ihre panierten Kinderfüßchen vor Augen, auf denen sie Plastikwerkzeug für den Bau ihrer monumentalen Sandburgen um sich herum sortierte. Diese Nacht trug sie spitzige Peeptoes. Manche verstehen es nie. Sie bestellte noch Bittermandellikör.
Meine zweite Freundin musste von ihren Eltern beständig ermahnt werden, hier nicht dauernd barfuß rumzurennen, weil sie sich's sonst auf der Blase holt. Allein in den fünf Minuten, die ich im Korridor auf sie wartete, ließ sie zweimal ihr genervtes "Nänänänänä" vernehmen, mit dem sie alle Anweisungen ihrer Eltern zu kontern pflegte.
Zwei Sommer später traf ich sie mit zwei Punks, einem Schäferhund und mehreren Flaschen Bier vor der Lorenzkirche lümmelnd und konnte schließen, dass sie Barfußgehen immer noch als eine Ausdrucksform innerer Rebellion begriff. Damals gab es gegenüber der Lorenzkirche noch den großen Schuhladen.
Die Haare, Kleider und Zehenschildchen meiner driitten Freundin waren nicht einfach schwarz. Die Haare, Kleider und Zehenschildchen meiner dritten Freundin waren vor Menschenaltern in einen Zustand des Lichts eingetreten, der sich beim Hinschauen anfühlte wie ein Loch in der Nacht und beim Drandenken im Hinterkopf dröhnte. Dafür ersparte der Schneewittchenschimmer ihrer Haut nachts das Leselicht.
Von ihr erfuhr ich, dass meine zweite Freundin gar nicht so unordentlich gewesen war, weil schwarzer Nagellack praktisch sofort nach dem Trocknen anfängt abzublättern, und dass dieser Effekt teilweise sogar erwünscht ist. So viel verstand ich zur Not. Das runenartige Gekrakel, das sie sich mit einem eigens für diesen Zweck angeschafften Skalpell aus dem Ärztebedarf in beide Unterarme, Waden und Fußrücken ritzte, überforderte mich.
Meine vierte Freundin zog sich immer weiße Socken mit dünnen roten Ringeln in die Sandalen. Im Freibad kam sie immer im Bikini, aber noch in Socken und Sandalen aus der Umkleidekabine, um unseren Platz auf der Wiese zu suchen. Wegen der Fußpilzgefahr, wie sie angab.
Auf der ausgebreiteten Decke streifte sie ihre Socken mit verschämten Blicken und einer besonderen Feierlichkeit ab, schlang ohne Versäumnis, doch mit geübtem Schwung ihre entblößten Fersen als Sitzgelegenheit unter sich und kramte nach einem Buch, aus dem sie mir kniend vorlas. Einmal war es der ganze Shakespeare in einem Band. Gegen ihren Widerstand fand ich heraus, dass ihre zweiten Zehen genauso lang waren wie ihre großen Zehen. Ich fand, das sah irgendwie erwachsen aus, sie fand es hässlich. Sie war noch nicht in ihre Füße hineingewachsen.
Danach bekam ich eine Brille und achtete in der Folge sehr viel mehr auf Mädchen. Allerdings bekam ich nur noch Freundinnen, die ebenfalls Brille trugen. Das hat den Vorteil, dass zwei Brillen stark beim Küssen stören. Wenn man über vier Brillengläser voller Nasentapser nicht lachen kann, hält die Beziehung keine zehn Minuten. So kam ich immer mit jungen Damen zusammen, denen das Lachen locker saß. Und das, lassen Sie sich gesagt sein, ist ein Aspekt, der einem Kerl, der sehenden Auges der Philosophischen Fakultät zustrebt, das Leben noch sehr erleichtern wird.
Meine fünfte Freundin machte sich geradezu einen Sport daraus. Ich bockte sie auf einen Sandsteinsockel unter der Nürnberger Burg auf und ließ sie stundenlang meine Brille blindküssen. Leider endete ihr Körpergefühl unterhalb des Kruzifixes an ihrer Halskette. Bis heute glaube ich fest, dass sie die Worte "barfuß" und "Zehen" nicht aussprechen konnte; ein verbreiteter Sprachfehler. Es hielt nicht lange.
Meine sechste Freundin war eine reine Brieffreundschaft. Sie besaß ein Buch über das Zehenlesen und schickte mir deshalb immerzu filmeweise Fotografien von ihren Füßen in allen Perspektiven und Lebenslagen, die charaktervollsten auf 13x18, drei gar nicht mal so schlecht ausgeleuchtete auf 30x45.
Zehenleserei, lernte ich, ist so seriös und so hanebüchen wie Handlesen oder Astrologie auch, funktioniert mit einem Minimum an Menschenkenntnis einwandfrei anhand von Bildern und ist unschlagbar, wenn man mal auf einer Hochzeitsfeier mit lauter Fremden von horoskopgläubigen, aber wenigstens barfüßigen Frauen umringt sein will (das war ein Tipp, Jungs!).
Als wir zum ersten Mal telefonierten, um uns auf halbem Reiseweg in einer verschwiegenen Pension zu verabreden, war sie über meinen fränkischen Zungenschlag mindestens so erschrocken wie ich über ihren sächsischen. Ich fand es sinnig, den Stapel mit ihren knubbelzehigen Selbstportraits in einem Schuhkarton zu horten. Er wurde voll und wog ungefähr fünf einbändige Shakespeares. Beim nächsten Umzug setzte ich ihn in der Stadtbücherei aus. Zweifellos benutzt ihn heute halb Nürnberg als Lesezeichen.
Ab meiner siebten Freundin war nicht länger zu verhindern, dass es ernsthaft ans Sexuelle ging. Außer über einen karottenroten Wuschelschopf verfügte sie über große, fröhliche Flitschflatschfüße mit den ausdrucksvollsten Zehen der Welt. Damit konnte sie so vergnügte und so verdrossene Mienen schneiden wie mit den Augenbrauen. Ausdauernd und taktfest konnte sie damit zur Musik schnipsen und Bücher umblättern. Dünndruckpapier! Auf meine Frage, ob sie damit auch Flieger falten und Zigaretten drehen konnte, musste sie ungelogen erst nachdenken.
Nie kapiert hab ich, woher sie stammte. Sie legte offenkundig auch keinen Wert darauf, es muss aber westlich der Sonne und östlich vom Mond gewesen sein, irgendwo nördlich von Hamburg jedenfalls, aus dem Skandinavischen, in der Gegend von Thule. Sie stellte es als eine Art Elfenreich dar. Deshalb hatte sie sich etliche deutsche Lieblingswörter zugelegt, verwendete etwa die Wörter "barfuß" und "meine Zehen" auffallend gerne, wobei sie mit den Lippen den Verlauf der Vokale besonders sorgfältig formte. Meist hob sie dazu andeutungsweise einen Fuß, um an der wirklichen Entsprechung vorzuweisen, wovon sie sprach.
"Ich kann dir doch nicht gleichzeitig in die Augen und auf die Füße schauen", bedauerte ich.
"Language!"
"Auf deine Zeeehen."
"Na bitte, du kannst es ja. Auf mich musst du besser aufpassen, ich bin für die ganze Welt baaarfuuuß." Mit betont offenem a, auf das sie ein entgegengesetzt dunkles u folgen ließ. Dann kumpelte sie mich auf die Schulter und lachte sich kaputt.
In der Kneipe nahm sie gern die Bank unter den Fenstern in Anspruch, wo sie ihre Beine zikadenartig um sich herum verteilte. Das war Teil ihrer Körpersprache. Die Bedienungen unseres Vertrauens wussten davon und duldeten es nachsichtig, die besten unter ihnen sogar ein bisschen neidisch.
Eines Abends versuchte sie dort, weil sie eben günstig saß, nacheinander mit beiden Füßen, den Satz A girl without freckles is like a night without stars in ihre A4-Chinakladde zu schreiben. Daran scheiterte sie nur, weil ihre Füllfeder nach einigem ruppigen Gehüpfe auf dem Wege hierher kleckste. Seitdem erzählte sie überall herum, sie sei linkshändig, aber rechtsfüßig.
Allein deswegen missriet ihr die beidfüßige Tätigkeit des Zigarettendrehens. Weil sie sich das nicht bieten ließ, fing sie unter dem Tisch an, sich umständlich aus den allzu engen, ihren Beinradius einschränkenden Jeans zu winden. Überraschend wirkte sie in burschikosen Boxershorts und einem Träger-Top, das ihr rothaartypisches Augengrün wiederholte, viel selbstverständlicher angezogen als zuvor. So gelang ihr immerhin mit entspannter Grandezza, mit den Zehen die fertige Zigarette zu rauchen.
Den Satz mit den girls ohne freckles schrieb sie dann in englisch-humanistischer Kalligraphie mit der Hand. Mit der linken, den rechten Fuß mit der Zigarette versonnen an die Tischkante gestützt.
"Mein Liebchen?"
"Mein Wolf."
"Kannst du denn auch mit deinen unterseitig so sinnreich und gelenkig angebrachten Rosenzehen aus deinem Bierglas trinken?"
"Nicht doch, mein großer kluger Wolf. Wir wollen der guten Gottesgabe nicht vergeuden und über Tische, Bänke und Chinakladden vergießen, sondern nächste Woche, so Gott will, wieder zur Stelle willkommen sein und bei der flinken Margit des neuen Bieres bestellen, um eines frischen Rausches zu genießen."
"Genießen statt vergießen."
"Wie du das immer so schön sagen kannst."
"Und doch, mein Liebchen, beliebst du zu schummeln."
"Wobei denn nur, mein Wolf?"
"Zikaden sind weder mehrhändig noch multitasking."
"Mein großer, kluger, belesener, eloquenter, aufmerksamer und gutaussehender Wolf!"
"Scherze nicht, mein Liebchen. Rothaarig sind sie schon gleich gar nicht."
"Aber baaaaarfuuuuuß...", behielt sie Recht. Stillvergnügt kalligraphierte sie vor sich hin, indem sie zuzeiten von der Zigarette zwischen ihren Zehen zog. Mit der rechten Hand abzuaschen hatte sie schnell raus. Die ganze Kneipe einschließlich der Bedienung verliebte sich heillos in sie.
Erst als ich meine Beobachtung, dass sie alle Zehen spreizen konnte außer Nummer zwei und drei links, eher beiläufig, ganz sicher aber absichtslos äußerte, sah ich etwas in ihr einrasten. Umgehend befahl sie mir auszutrinken und schob mich am Hintern bis zu sich ins Schlafzimmer. Hinter uns hörte ich in unserem Gleichschritt den ganzen Weg bis auf den Schlafzimmerteppich ihre großzügig offenen Birkenstocklatschen mit viel Platz für zwei Fünfersätze Zehen erwartungsvoll an ihre Sohlen flatschen. Die Jeans trug ich ihr um den Hals geknotet vorneweg. Sie war mir zwei Lebensjahre voraus, darum geriet meine Entjungferung zur gründlichsten Entjungferung in der Geschichte der Entjungferungen.
Nach einer aufreibenden 18-Stunden-Übung, die sämtliche bekannten Indoor-Disziplinen sowie einige bis dahin unbekannte einschloss, klingelte es. Vor der Wohnungstür stand ein junger Mann aufgebaut, der sich zurechtgelegt hatte:
"Ey, Alder. Das geht nicht. Echt nicht."
Da hörte ich hinter mir die Freundin lustig zwitschern: "Hi, Herr Nachbar!", worauf er etwas wie "Also leiser bitte" nuschelte und im Treppenhaus verschwand.
Als ich mich umdrehte, trug das Liebchen nichts als ein Handtuch um die Brüste geschlungen, das noch über der Taille endete. Sie feixte breit über ihre postkoital kirschroten Wangen und schnitt jubelnde Grimassen mit den Zehen: "Das war leicht", und zerrte mich mit zwei Fingern im Hosengummi zurück ins Bett, weitertrainieren.
Von ihr bleibt mir die Erinnerung, wie sie mir nach dem Schlussmachen gegenüberstand und aufpasste, dass ihr die Grünaugen nicht überliefen. Sie knöpfte mir die Jacke zu, ruckelte mir die Mütze zurecht und musste nicht, wie die meisten Frauen, auf Zehenspitzen ein Stück an mir hochkrabbeln, sondern konnte mich aus ebenbürtiger Körperhöhe ein letztes Mal auf den Mund schmatzen. Sie trug, wie ich wusste, selbst gestrickte Wollsocken in Schnürschuhen mit Profil.
Meine achte Freundin riss sich einmal auf einer Bergtour unangekündigt die Wanderschuhe von den Füßen, stopfte die Socken hinein, rannte barfuß vor mir her die Kuhweide hinab und ließ sich an den unten plätschernden Gebirgsbach fallen, um sich die müde gequetschten Zehen zu kühlen. Hinterher hatten sie die Farbe zarter Rosenblätter. Barbeinig in reißendem Gebirgswasser umherwatend erzählte ich ihr, dass ein Mädchen auch in Wanderstiefeln barfuß sein kann, nämlich als nicht akut körperlicher, sondern als grundsätzlich geistiger Zustand, in ähnlicher Weise, wie eine Frau über 18 ein Mädchen sein kann, und dass beides nichts Verwerfliches, vielmehr etwas Erstrebenswertes ist, und sie verstand es. Und vor allem verstand sie es als Kompliment. Zu Hause getattete sie mir, ihr die Zehennägel in einem Mitternachtsblau zu lackieren, wie nur große, freigeisternde Mädchen es tragen dürfen.
Wir schaufelten uns zwei weitere Urlaubswochen frei, um einander täglich dreimal beizuschlafen. Den Körperkontakt, den sie mit Lippen, Händen, Brüsten, Scham und Zehenballen auf mir herstellte, verwendete sie als leistungsfähigen Weg der Kommunikation, auf dem ich lernte, wie wesentlich der weibliche Höhepunkt durch ein untergeschobenes Kopfkissen und kreisende Hüftbewegung an Frequenz und Lautstärke zunimmt. Ihre Augenfarbe wechselte mit ihrer Tageslaune zwischen Grau und Blau und bildete damit zuverlässig die Farbe des Himmels über München ab. Die Strümpfe, die ich ihr schenkte, konnte sie nicht tragen, weil ihre Zehen daraus betrübt wie gefangene Bachforellen hervorguckten, worauf man angesichts der korrekten Bezeichnung Fishnets hätte kommen können. "Das mein ich mit barfuß in Wanderstiefeln", erklärte ich; atemlos beschied sie mir ihr Verständnis durch eine Einheit Beckenbodengymnastik.
Im Gegensatz zu mir besaß sie eine Bohrmaschine, die sie Ladybosch nannte. Sie konnte besser zeichnen als ich. Sie lehnte Brillen ab. Sie konnte sich nie entscheiden, ob im Wort "barfuß" das r als eigener Laut mitgesprochen oder nur als Länge im a erscheinen soll, jedoch reichte ihr phonetisches Problembewusstsein aus, um es mir gegenüber zu thematisieren. Ich heiratete sie.
Flip. Flop. Flip. Flop, machen die zwei Mädchen wieder, mit bunt in die Welt blinzelnden Zehen, Hand in Hand, versonnen, stolz und siegessicher: Die Ampel hat auf Grün geschaltet. Logisch, ist ja jetzt Frühling.
"Schaun'S es Eahna oo, de zwoa junga Ganserl", plaudert mich von der Seite eine Frau im rentnerbeigen Anorak an, mit rechtschaffenem Kopfschütteln, kriegt aber den richtigen Münchner missbilligenden Grantelton nicht hin: "De hoin si's doch auf da Blosn, de zwoa."
Schade, dass ich schon abbiegen muss, weil ich ein Meeting mit meiner achten Freundin am Küchentisch hab, sonst wäre ich möglicherweise schlagfertiger als: "Ja mei, gell, Lichtmess halt."
Ich kann so nicht arbeiten. Meine – und wahrscheinlich auch Ihre – Krankenkasse gedenkt ihre Beiträge zu erhöhen. Nicht alle. Nur die für Raucher und Übergewichtige. Sie begründet es mit verlegenen Gratisargumenten über eine Solidargemeinschaft, in der jeder einzelne soziale Verantwortung trägt und für seine selbstverschuldeten Krankheiten möglichst alleine aufzukommen hat.
Kann schon sein. Mich stört nur die hinterkünftige Vorgehensweise. Wenn sie mein Geld haben wollen, sollen sie gefälligst das Kreuz aufbringen, es zu sagen. Nicht so schleichend immer noch ein Kreuzerchen mehr abknöpfen, als nur gerechte, ja unverdient milde Strafe für etwas, an dem ich mir auch noch schuldig vorkommen soll, und glauben, ich merk das nicht. Aber dann hätten wir ja eine Diktatur, in der die Obrigkeit schuld an der Misere ist, und keine Demokratie, in der jeder schön selbst sein Glück schmieden darf, gell? Das geht bis jetzt nur mit dem ganzen leistungsscheuen Gelichter, das jeden Tag die ansonsten high performenden Agenturen mit Hartz-IV-Anträgen von der Arbeit abhält.
Offensichtlich besteht soziale Verantwortung in einer Hatz gegen politisch unerwünschte Sozialversager. Oder haben Sie schon mal von erhöhten Krankenkassenbeiträgen für Autobesitzer und Schifahrer gehört? Geht ja gar nicht: Wenn ich mit meinem "Jahreswagen" schon mühsam bis "Kitz" geblockert bin, will ich doch das Hotel nicht mit einem Zigaretten qualmendem Speckknödel teilen. Ist man denn nirgends mehr unter sich?
Wenn der Grund selbstverschuldete Krankheiten wären, ginge noch einiges: Wer zieht endlich die Mietpenner zur Verantwortung, die sich in ihrer Gedankenlosigkeit für einen Wohnsitz im Einzugsbereich eines Handymasten entschieden haben? Wer die Süchtlinge, die trotz aller Ermahnungen und jedermann zugänglicher Information nicht von eierhaltiger Ernährung lassen können? Wenn die darauf bestehen, dass sie mit ihrem Lebenswandel weder sich noch ihre Volksgemeinschaft schädigen, sollen sie halt rüber in den Osten, da düngen sie ihre Wassermelonen mit der Strahlung aus Atomkraftwerken und mampfen das Dioxin mit dem Kochlöffel als Nationalgericht.
Solidargemeinschaft, jawohl. Und der freundliche Herr Sparkassendirektor zahlt mir Zinsen, weil er sich so über meine Sparsamkeit freut.
In diesen ruhelosen Tagen werden unsere Kollegen aller Branchen "was zur WM machen" müssen. Das muss the missing link glücklicherweise nicht. Bis zum 11. Juli 2010, an dem dieser betrübliche Auswuchs der afrikanischen Entwicklungshilfe enden wird, verhalten Sie sich uns und allen gefühlsbegabten Menschen gegenüber nach folgenden sehr wenigen, sehr einfachen Regeln:
Meiden Sie Zusammenrottungen vor übergroßen Monitoren. Man erkennt sie von weitem am typischen Ausruf "Schlant!" und am Klang des Rauschens wie von Meeresbrandungen oder Autobahnen, gerne auch von traditionell afrikanischen Musikinstrumenten, die ähnlich heißen wie ein zurückgezogen lebender deutscher Fußballspieler. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet in eine solche Zusammenrottung geraten, vergegenwärtigen Sie sich, dass man traditionell afrikanische Musikinstrumente und zurückgezogen lebende deutsche Fußballspieler respektieren sollte. Ebenfalls mit Respekt, nicht etwa Mitleid, sollte man zum eigenen Schutz Menschen mit Verhaltensstörungen begegnen. Deren Selbsthilfegruppen lösen sich am 11. Juli von selbst auf und mit ihnen das Problem, das sie bewältigen.
Vermeiden Sie auch den Erwerb von Merchandising, der im Zusammenhang mit dem Fußball der Herren steht. Sehr wahrscheinlich unterstützen Sie damit niemanden, der Sie nicht dafür verhöhnen würde, allen voran eine undurchschaubare Hierarchie bizarr überbezahlter Hauptschulabbrecher. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet solches Merchandising erwerben, etwa weil Entwicklungshilfe schließlich Entwicklungshilfe ist, oder weil Sie glauben, dass der Krempel in fünfzig Jahren was wert wird, verschließen Sie es gut an einem Ort, zu dem niemand außer Ihnen Einsicht gewinnt.
Vor allem aber vermeiden Sie die Sätze "Der Ball ist rund", "Der nächste Gegner ist immer der schwerste", "Das Spiel dauert neunzig Minuten" und "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel" sowie die Synekdoche "das runde Leder" als Umschreibung für einen Fußball. 1954, das war gerade einmal neun Jahre nach dem bisher verheerendsten Krieg, als man froh sein musste, wenn die Leute nicht noch schlimmere Sachen sagten. Rechnen Sie zum Vergleich nach, wo Sie heute vor neun Jahren standen, und bewahren Sie ein Mindestmaß an Würde in Ihren Äußerungen. — Sollten Sie trotzdem unverschuldet solche Sätze aufsagen müssen, etwa weil Sie sonst von Menschen, die sich unter Drogeneinfluss die Wangen mit Landesflaggen bemalt haben, spontan auf die Lichter kriegen, hören Sie hinterher zuhause ein Viertelstündchen Deutschlandfunk. Das bereichert und reinigt den Geist.
Sollten ungnädige Umstände Sie dennoch in den nächsten Wochen zwingen, ein Fernsehgerät zu verwenden: Nutzen Sie die DJ-Helme, die Sie sonst in Ihren iPod stöpseln! Die passen nämlich auch in die Kopfhöreranschlüsse an Breitwandfernsehern. Danke.
Nächste Woche: Korrektes Verhalten, wenn die Sendung mit der Maus wegen Fußball ausfällt, in behördlich unterstützten Verkehrsstörungen ("Autokorso") und im Kontakt mit Betroffenen und Angehörigen.
In der Installation von Vista lässt sich der Explorer nicht mehr ausknipsen, der User wird zwangsgesurft. Und automatisch in Facebook, Lokalisten, Xing, DeppenVZ, MyFace und Spinnr eingeloggt.
Jede Stunde veröffentlicht sich ein Tweet in Ihrem Twitter-Account, sofern Sie nicht selbst einen erstellen. Diese Autotweets erwähnen nicht mehr als dreimal einen unserer Sponsoren, den wir aus Ihrem auf individueller Sicherheitsstufe gespeicherten Interessenprofil auswählen, die weiterhin dafür garantieren, dass unsere Angebote werbefrei bleiben.
Wer unter einer individuell (Alter, Jahreseinkommen, sexuelle Orientierung) festgelegten Anzahl von Kontakten bleibt, bekommt Chinesen vorgeschlagen: "Wollen Sie jetzt Schanghai hinzufügen? — Ja | Ja, 10 | Ja, 10 hoch [Eingabe] | Ja, alle | Nein, später erneut fragen | Neustart".
Bei der content generation ist eine Qualitätskontrolle nicht mehr vorgesehen: Die User sind genau wie ihre Maschinen lernende Systeme, die im Zuge von Web 2.0 das relevante PR-Pidgin implementiert haben.
Google Earth hat mir eine Urlaubsreise gebucht. Mal sehen, wo's hingeht.
Wer sich an Web 2.0 erinnern kann, war nicht dabei.
Soundtrack: Andreas Dorau: Die Welt ist schlecht, aus: Die Doraus und die Marinas geben offenherzige Antworten auf brennende Fragen, 1983.
Ein Grafikdesigner und das Zahlen mit richtigem Geld.
Du hältst deinen Platz an der Bar wie ein richtiger Held.
Die ganze Welt gegen einen, das ist nicht fair.
Die rettende Kavallerie, die kommt heut nicht mehr.
"Haben Sie gut hergefunden?" fragt mich der Kunde als Ice-Breaker, wie er es aus "Smalltalk für Manager" gelernt hat.
"Aber ja, sofort! Der einzige Taxifahrer am Bahnhof hat sich geweigert, aber hinterm Sägewerk kommt ja nicht mehr viel", verkneife ich mir. Laut antworte ich ein klares, uneingeschränktes: "Ja", wie ich es aus "Leitfaden für Beziehungsgespräche" gelernt habe.
In der ersten Stunde verfehle ich mein Gesprächsziel, dem Kunden von seinem angedachten Firmennamen "Wurstberaterei" abzuraten. Nach zwei weiteren Stunden, die ich nicht mehr berechnen kann, ist deshalb schon Sense; über den Rest senkt sich der Mantel der Diskretion über einige unerfreuliche Betriebsgeheimnisse. Die des Kunden.
Mein Exkunde in spe arbeitet, wo andere Urlaub machen: in einem Handy-Funkloch. Ein Telefongespräch wollte ich ihm nicht mehr aufhalsen. Die Bushaltestelle belehrt mich, dass wir uns hier in der Rufbus-Region Mangfalltal oder Leitzachtal oder Murnau-Land oder irgend sowas befinden. Das heißt, dass man den Bus persönlich anrufen muss, mit dem man fahren will.
Die für den Landkreis zuständige Gaststätte hab ich schon mal gesehen: in einer frühen Kurzgeschichte von Heinrich Böll. Am Stammtisch schweigt sich eine Runde glasäugiger Austragsbauern an, weil man so früh am Tag noch nicht schafkopfen kann und bis dahin saufen muss. Wenn sie geredet hätten, wären sie bei meinem Eintritt verstummt. Beim Hinsetzen versuche ich die Stille so wenig wie möglich zu stören. Sollte ich hier jemals lebendig wieder rauskommen, werde ich das Thema des Abends sein: "Wos wor denn des heint fir oana?" Die Bedienung mistet hinten den Kuhstall aus und kommt hoffentlich zur vollen Stunde den Bauern Bier und Birngeist nachfüllen.
Praktischerweise war es gerade kurz nach halb. Die Bedienung stutzt, hat aber in ihrer Weltläufigkeit schon mal jemanden gesehen, der ein Vorstellungsgespräch bei meinem Kunden hatte. Und sie war so ziemlich die einzige, die ihn je gesehen hat.
"A Hoibe und telefoniern?" fragt sie.
Ich nicke beeindruckt.
"Telefon is do hint", sagt sie, hat schon mit Bierzapfen angefangen und zeigt mit dem Kinn in den Flur hinaus, wo ein handgeschnitzter und -gemalter Wegweiser "Pissoir/Scheißhäusl" grüßt.
Es gibt tatsächlich noch Telefone mit Wählscheibe. Und sie funktionieren! Die Nummer vom Rufbus klebt am Telefontischchen, seit der mit dem Vorstellungsgespräch hier eingekehrt ist. Muss doch schon länger her sein.
"???!" meldet sich der Rufbus.
"Grüß Gott", versuche ich, "fahren Sie heut noch?"
"Freilich!!" bellt jemand (ich versuche hier eine grobe Simultanübersetzung), "wann wollen Sie denn fahren!!"
"Wär's Ihnen recht um..." – ein Blick zu dem Bierfassdeckel mit Uhrzeigern über der Pissoir/Scheißhäusltür – "um sechse?"
"Wird schon wie gehen", mault der andere und legt auf. Woher ich anrufe, schien im keine Frage zu sein, woher soll man in Funklöchern schon anrufen, gell.
Vor lauter Empathie in die Bedürfnisse eines Rufbusunternehmers habe ich dessen Zeitfenster zur Anreise spontan etwas großzügig berechnet, denn als die Bedienung ihre Fünf-Uhr-Runde macht, kassiert sie nacheinander ihre Bauern ab.
"Jaaaaaaa...", will einer von ihnen zahnlos widersprechen.
"Nix ja, Wiggerl!" streichelt sie ihm über die Steppe seines Gelöcks, "woaßt eh, dass heint Samstag is. I wui aa no ind'Stoodt eine nachant!"
"Nacha brauch ma nimma hockableim bis aufs Kartn?"
Offenbar ist das eine Gehirnregion, die bei Wiggerl noch anspricht. "Nein neinzge kriagidi na von dir", nutzt die Bedienung seinen lichten Moment aus. Nachdem er quälende Minuten lang in seinem Ledergeldbeutel herumgekratscht hat, lässt er's auf zehn Euro aufgehen. Zu mir kommt sie zuletzt. Auch bei mir kommt sie auf neun Euro neunzig, das ortsübliche Trinkgeldgebaren habe ich schon verinnerlicht.
Das gibt mir eine Stunde Zeit, mich ohne Verzehrzwang dort umzutun, wo andere Urlaub machen. Ganz hinten auf der Wiese gegenüber dem Gasthaus, schon fast im dichten Tann, scheißt eine alleinstehende Kuh einen neuen Fladen für ihre Sammlung. Damit sind die Freizeitmöglichkeiten erschöpft. So wie ich.
Fast pünktlich höre ich an der Rufbushaltestelle ein fernes Röcheln. Ein gut erhaltener VW-Bus keucht um den Hügel. Gerade als die Bedienung geschminkt und aufgedirndlt aus der Gasthaustür stöckelt, ohne ihren fremden Gast (mich) noch einmal zu grüßen, die Haustür mit einem gusseisernen Schlüssel zusperrt, in einen rostigen Ascona steigt und davonröhrt, hält der VW-Bus vor meinen Schuhkappen.
"Was ist jetzt?" kläfft der Fahrer duch die geöffnete Tür, ich steige ein. "Zum Bahnhof", sage ich. "Bitte."
"Ja, eh."
Das Dorf, das hinter den schlammverspritzten Scheiben vorbeizuckelt, hat es schon lange nicht mehr nötig, sich an "Unser Dorf hat Zukunft" zu beteiligen. Eine Kirche mit Zwiebelturm, modernisierte Bauernhöfe, zu Eigenheimen ausgebaute Bauernhöfe, stillgelegte Bauernhöfe, der maßgebliche Arbeitgeber: das Sägewerk. Die Volkshochschule versucht seit Jahren, Bert Hellinger für einen Vortrag zu gewinnen, doch nicht einmal er nutzt die Chance für eine Familienaufstellung. Zum ersten Mal verstehe ich ihn, denn wir hatten einen Grund, die Agentur innerhalb einer Postleitzahl zu eröffnen, die mit 80 anfängt.
Dahinter Wiesen, dahinter Wald. Da, wo andere Urlaub machen, weil hier noch keine Stadt und keine Alpen mehr sind. Die Züge fahren hoffentlich bis nach 20 Uhr – die in Richtung München. Der Fahrer versieht seinen Job nur unter Protest und erkennt deshalb keine Not, Fahrgeld von mir zu verlangen. Auf einer Lichtung, aber ich kann mich täuschen in der Dämmerung, äst ein Hase. Wäre nicht das Geweih, ich hätte geschworen, er hat Reißzähne.
Ist es böse, schlecht über die Arbeit von Kollegen zu reden? Ich tu das ungern, wirklich, schließlich produziert man selber schon mal Ideen, die man lieber gleich wieder dem digitalen Orkus anheim gibt; das hilft denken. Der Unterschied ist: Ich gebe sie nicht heraus. Und wenn, dann intern, damit man was zum Beeiern hat, oder als "und dann noch ein Vorschlag zum Wegschmeißen", damit der Unterschied zu den richtigen Ideen klar wird; auch das hilft weiterdenken ("Know thy enemy"). Und dann sowas:
"Alles fühlt sich hier so frei an – wir sind stolz auf Bayan!", ja nee, is klar, ne. Weil der Gründer der CSU damals auch persönlich Hohenschwangau gebaut, die windig durchsichtigen Seitenflügel für die Staatskanzlei geschnitzt und das Wasser in die Donau eingelassen hat.
Ach kommt, Amigos, niemals kann das eine Ermunterung sein, sich bei der Landtagswahl am 28. September für euch zu entscheiden. Ein Propagandafilm zum Schutz vor Überfremdung ist das, und als solcher müsste er sogar prächtig funktionieren.
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by your man
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